Kräutergeschichten

Prinzessin Rosalind (Tausendgüldenkraut)

Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten eine Tochter namens Rosalind. Rosalind liebte besonders die Farbe Rosa, sie trug fast nur rosa Kleider, zumindest aber immer einen rosa Schleier oder einen rosa Schal oder wenigstens eine rosa Blume im Haar. Die kleine Prinzessin war sehr schüchtern und zurückhaltend und wollte vor allem nicht auffallen. Den derben, lauten Rittern und ihren groben Knechten am Hof ihres Vaters ging sie so weit wie möglich aus dem Weg, denn sie war sehr empfindlich gegen alles Laute und Grobe. Am liebsten hielt sie sich im Garten des Schlosses auf, wo sie die Blumen bewunderte und die Schmetterlinge und Vögel beobachtete.

So kam es, dass Rosalind heranwuchs und – obwohl sie überaus hübsch und freundlich, gutmütig und hilfsbereit war – noch keinen Verehrer, geschweige denn einen Freier gefunden hatte.

Das gefiel ihrem Vater gar nicht und so suchte er einen jungen Prinzen aus, der Rosalind heiraten sollte. Wie erschrak die Prinzessin, als sie ihm zum ersten Mal begegnete! Er war einer dieser Grobiane, mit lauter, polternder Stimme und harten Händen, die sie so fürchtete. So einen wollte sie nicht zum Mann. Aber alles Weigern und Weinen half nicht, sie konnte sich gegen die Autorität des Vaters nicht durchsetzen.

Da wurde Rosalind krank. Sie verlor den Appetit und bald auch ihre rosigen Wangen, konnte fast nichts mehr essen, wurde dünn, bleich und schwach. Vergeblich bemühte sich der Hofkoch, sie mit den köstlichsten Speisen zum Essen zu reizen, vergeblich bemühten sich die Ärzte, sie wieder gesund zu machen. Schließlich, in letzter Not, ließen die Eltern eine alte Kräuterfrau holen. Die schaute sich die Prinzessin genau an, hörte sich auch unter dem Gesinde um und fand bald heraus, was die wahre Ursache der Krankheit war. Ein Heilkraut hätte sie schon gewusst, aber wie sollte sie die Hochzeit verhindern?

Schließlich hatte sie einen Plan. Sie trat vor den König und sagte: “Eure Tochter ist dem Tode geweiht. Es gäbe wohl ein Kraut, das sie heilen könnte, aber das ist sehr schwer zu beschaffen, denn nur ein junger Mann mit reinem Herzen kann es finden. Er muss sanft und freundlich sein, ehrerbietig zu den Frauen, und er darf auf keinen Fall aus selbstsüchtigen Gründen nach dem Kräutlein suchen. Kennt ihr jemanden, dem diese Aufgabe zuzutrauen wäre?”

Der König und die Königin waren ratlos. Der Verlobte der Prinzessin war kein sanfter Mann und auch am ganzen Hof kannten sie keinen, der diese Eigenschaften besaß. Da meinte die Alte: “Lasst im ganzen Land verkünden, dass ein junger Edelmann gesucht wird, der ein Heilkraut für die kranke Prinzessin finden soll, und dass ihm tausend Gulden Belohnung winken. Schickt die Bewerber dann zu mir, ich will schon herausfinden, wer von ihnen reinen Herzens ist.”

So geschah es. Der König schickte Boten aus und bald meldeten sich Prinzen, Ritter und Edelleute in Scharen, die sich auf die Suche nach dem Heilkraut machen wollten. Die Alte prüfte sie auf Herz und Nieren, musste aber bald feststellen, dass sie alle nur hinter der großen Belohnung her waren und keiner von ihnen allein der Prinzessin helfen wollte. So schickte sie sie alle los mit der Aufgabe, ein Kraut zu suchen, das der Königstochter ähneln sollte. Aber weil sie alle hoch zu Ross aufbrachen und keiner die Prinzessin genauer angeschaut hatte, konnte keiner die richtige Pflanze finden.

Am Hofe des Königs lebte aber auch ein junger Ritter, der Rosalind schon lange von ferne verehrt  und sie oft  heimlich beobachtet hatte, wenn sie im Garten saß, der aber zu schüchtern war, ihr seine Zuneigung offen zu zeigen, denn er war arm. Auch jetzt wagte er nicht sich zu melden, obwohl ihm die Krankheit der Prinzessin sehr zu Herzen ging. Als er aber sah, dass keiner der Bewerber die richtige Heilpflanze herbeibringen konnte und dass Rosalind immer mehr dahinsiechte, fasste er dann doch Mut und meldete sich beim König. Der schickte ihn wie die anderen zu der alten Kräuterfrau und die fühlte ihm gleich auf den Zahn. “Tausend Gulden sind eine schöne Stange Geld für einen armen Ritter wie Euch”, sagte sie, “da könnt ihr Euch ein schönes Pferd, eine prächtige Rüstung und noch so mancherlei kaufen”. “Ach”, antwortete der junge Mann, “um das Geld ist es mir gar nicht zu tun. Mit tut die Prinzessin Leid und ich will versuchen, ihr zu helfen.” Da sagte die Alte wiederum, dass das Kraut der Königstochter ähnlich sehe, und darüberhinaus gab sie ihm den Rat, in den sonnigen Morgenstunden zu suchen, weil die Pflanze nur dann überhaupt zu entdecken sei.

So machte sich der Jüngling auf den Weg, aber wo die anderen geritten waren, ging er zu Fuß. Einige Tage lang suchte er auf allen Wiesen und Feldern entlang seines Wegs, denn er sagte sich, wenn die Pflanze nur in den sonnigen Morgenstunden zu entdecken sei, dann wäre sie wohl kaum im dunklen, schattigen Wald zu finden. Schließlich kam er zu einer Wiese, auf der die herrlichsten Blumen blühten, eine stolzer als die andere. Nein, dachte der Ritter, das sind nicht die richtigen. So stolz ist Prinzessin Rosalind nicht. Er war aber vom vielen Suchen schon ein wenig müde und so legte er sich in die Wiese, um ein Weilchen auszuruhen. Da lugte zwischen all den Gräsern und prächtigen Blumen ein Blümchen hervor mit zarten Blättern und hübschen, rosa Blüten. Wie Prinzessin Rosalind, dachte der junge Mann, so fein, und so scheu versteckt es sich zwischen den anderen Pflanzen, und es trägt sogar ihre Lieblingsfarbe!

Plötzlich schoss er hoch. Das musste die richtige Pflanze sein. Er schaute sich um, ob er noch mehr davon finden könnte, und pflückte behutsam ein kleines Sträußchen. Dann eilte er zurück zum Schloss, so schnell er konnte. Er meldete sich gar nicht erst beim König, sondern brachte die Kräuter gleich zu der Alten, damit sie daraus die Medizin für die Prinzessin brauen konnte. Die war hocherfreut, machte sich gleich an die Arbeit und brachte noch am gleichen Tag einen Heiltrank für die Königstochter ins Schloss. Die nahm einen Schluck, klagte: “Pfui, wie schmeckt das bitter!”, aber schon bald darauf verlangte sie nach etwas zu essen, einen Apfel und später eine Suppe, und nicht lange, und sie konnte das Bett verlassen, ihre Wangen wurden wieder rosig und sie kam rasch wieder zu Kräften.

Der König war glücklich, er wollte den Retter belohnen und dann auch endlich die Hochzeit für seine Tochter ausrichten. Aber da hatte er Pech gehabt, der Jüngling meldete sich nicht, und die Prinzessin erklärte ihm klipp und klar, dass sie ihren Bräutigam, diesen Grobian, nicht heiraten werde und nichts und niemand auf der Welt könne sie dazu bringen. Alles Schimpfen und Drohen half nichts, sie wollte lieber das Schloss verlassen als diesen Mann zu heiraten.

Da packte den König der Zorn und er rief: “Dann heiratest du eben einen anderen, meinetwegen den, der die Heilpflanze für dich gefunden hat!” Aber wie sollte er den finden? Wieder fragte er die Alte um Rat. Sie hieß ihn, alle jungen Männer im Hof zu versammeln, sie schaute sich alle genau an, aber der Richtige war nicht dabei. “Gibt es noch irgendwo einen Ritter hier am Hof?” fragte sie. Da sah sie hinter einem Baum einen Zipfel eines Gewands hervorlugen, trat hinzu und zerrte den jungen Mann hervor. “Der war's!” sagte sie. Er wurde sogleich vor den König gebracht, wo er gleich rief: “Ich will die tausend Gulden nicht!”, denn er dachte, es ginge um die Belohnung. “Ich bin glücklich, dass ich der Prinzessin zu Diensten sein konnte.” “Du kriegst auch kein Gold”, sagte der König, “du sollst meine Tochter heiraten.” Da schaute der junge Ritter die Königstochter an und die Königstochter schaute den jungen Ritter an und beide bekamen einen roten Kopf vor Verlegenheit. Aber als sie sich ansahen, merkte der Jüngling, dass er nichts lieber tun würde als die Prinzessin zu heiraten, und Rosalind merkte, dass er freundlich und sanft war und dass er die Pflanze ihretwegen gesucht hatte und nicht wegen des Goldes, und so sagte sie: “Ja, den will ich!”
So wurde denn die Hochzeit gefeiert und alle waren glücklich und zufrieden.

Die alte Kräuterfrau aber gab dem getrockneten Blütenbüschel einen Ehrenplatz in ihrer Kammer und meinte: “So hast du wieder einmal bewiesen, dass du unbezahlbar bist, du "Tausendgüldenkraut!”

© Ilka Kleinehellefort

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